für online-medien zahlen? sicher nicht. habe ich mir auch lang gedacht. bis vor ein paar monaten.
was hat sich geändert? einerseits war ich knapp dran, mein einziges (papier-)zeitschriften-abo zu kündigen und habe mir überlegt, ob ich das möglicherweise frei werdene geld für andere (papier- oder online-)medien nutzen soll. andererseits (und wichtiger) ist mir verstärkt klar geworden, wieviele journalistische werke ich täglich online konsumiere und dass dieser journalismus, der mir persönlich und gesellschafts- wie demokratiepolitisch wichtig erscheint, finanziert werden muss, damit es ihn weiter geben kann – von freundlichen kommentaren und aufmunternden tweets können journalistInnen nicht leben.
momentan scheint sich kaum ein online-medium bzw. eine online-version eines mediums zu rechnen; wie auch. woher das geld kommen könnte? mehr werbung freut nur die ISPs und die adblock-anbieterInnen; presseförderung ist auch so eine sache; letztlich werden also wir leserInnen/seherInnen/hörerInnen in die tasche greifen müssen, wenn uns so etwas wie unabhängiger qualitätsjournalismus etwas wert ist. sonst wirds den immer weniger geben. wäre doch mehr als schade.
für online-medien bezahlen also. nur: so wie das heute funktioniert wird das nix. warum: wenn ich in 2 dutzend online-medien jeweils eine handvoll artikel lesen will, schließe ich sicher keine 24 abos zu apothekerInnen-preisen parallel ab und melde mich dafür bei allen möglichen medien oder aggregatplattformen oder zahlungsdienstleisterInnen separat an, damit ich mich dann auf dutzenden websites getrennt einloggen kann. völlig unbrauchbar.
wie kann das bezahlen von journalistischen werken online funktionieren? ein vorschlag.
zahlen pro artikel.
auch wenn das verlage nicht gerne hören: ich habe kein interesse an einem abo von tageszeitung X und wochenzeitschrift Y. ich will einzelne interessante artikel lesen, egal was im URL steht und welches logo in der kopfzeile pappt.
micro-payment.
ich will kein all-in-one-abo für alle texte/sendungen eines mediums, das ich nie ausnutze, sondern genau dafür zahlen, was ich lese/sehe/höre. dann wann ich es lese/sehe/höre. also kleine beträge (die müssten wohl im niedrigen einstelligen cent-bereich liegen, wenn ich meinen konsum übers jahr hochrechne) und direkt bei der nutzung.
abwicklung auf den eigenen seiten.
dieses micro-payment muss direkt auf den websites der medien stattfinden, ich habe kein interesse daran, mich in den goldenen käfig eines dritten zu begeben (blendle, I'm looking at you). und warum sollten medien die kontrolle über ihre seiten und ihre server abgeben wollen (mit facebooks "instant articles" z.b.)?
einheitliche abwicklung der zahlungen.
das bezahlsystem muss auf allen websites funktionieren. gleich. mit einer übergreifenden anmeldung und einem konto zum auf-/abbuchen. – diese paywall- und zahlungssoftware wird noch zu programmieren sein; flattr geht als idee in diese richtung (ist allerdings für freiwillige zahlungen in variabler höhe gedacht).
offenes protokoll, mehrere anbieter.
wenn wir dem inhalteanbieter-silo entgangen sind durch bezahlung direkt auf den medienwebsites gilt es noch die zweite klippe zu umschiffen: auch beim bezahlsystem darf es kein monopol geben, daher braucht es hier offene protokolle, die ein vernetztes system erlauben. – d.h. mit dem einen button auf der zeitungswebsite bezahle ich via zahlungsanbieter X und die nächste via anbieterin Y, die kommunikation/zahlungsflüsse medienwebsite → zahlungsanbieter und zahlungsanbieter → medium laufen über standardisierte protokolle (think: email; so wie das netz vor den walled gardens von facebook und co. eben funktioniert hat).
verbreitung.
dieses konzept ergibt natürlich nur dann wirklich sinn, wenn möglichst viele medien dabei mitmachen. wobei durch den micro-payment-per-article-charakter auch ein paar einmal starten können.
wo sind sie, die modernen medien, die (gemeinsam?!) ein derartiges system entwickeln? der europäischen medienlandschaft tät's gut. und mein geld liegt bereit.
nachtrag 1
frank rieger und thorsten schröder kommen bei ihrem talk bzw. interview auf der re:publica, vom thema malvertising (auslieferung von schadsoftware über werbenetzerke) her kommend und auf der suche nach alternativen zu online-werbung, zu ähnlichen ideen zur finanzierung von online-medien. auch sie denken ein einheitliches anbieterübergreifendes micropayment-system mit beträgen im niedrigen einstelligen cent-bereich pro artikel an. anders und interessant ist ihre idee, die zahlungsabwicklung über eine nicht-profitorientierte genossenschaft der verlage abzuwickeln. nachzusehen im talk ab minute 51:11 bzw. im interview ab minute 7:33.
nachtrag 2
rms fordert im guardian: publishers that charge for access should offer the option to pay a small amount anonymously to get an individual story und verweist darauf, dass das GNU-projekt und INRIA+TU München ein anonymes bezahlsystem namens GNU Taler entwickeln. das klingt schon sehr nach dem system, das ich weiter oben skizziert habe. und die exchanges könnten von den von frank und thorsten angedachten genossenschaften betrieben werden.
interessant, was sich so tut:
- barroso will einen "demokratischen staatenbund" oder eine "föderation", auf jeden fall mehr integration & einen neuen vertrag ("verfassung" traut er sich wohl nicht zu sagen). – van rompuy will laut diesem text dafür eine "eine föderale union der europäischen bürger"; whatever that my be …
- am tag darauf ist zu lesen, dass van rompuy auch mehr integration will, aber außer geld scheint er wenig zu sehen, denn er redet nur von einem "zentralen budget und gemeinsamen finanzministerium".
die beiden kurzen meldungen scheinen mir symptomatisch: einerseits finde ich es erfreulich, dass sich was tut in richtung "mehr europa", andererseits halte ich die gefahr für recht groß, dass die entwicklung zu noch weniger demokratie & noch mehr kapitalismusförderung führt.
nachtrag: elf außenminister präsentieren ein papier, in dem sie neben allem möglichen anderen auch "eine verstärkte integration [und] einen europäischen konvent" fordern.
den folgenden text habe ich habe ich gestern per email an die zwei österreichischen eu-abgeordneten der grünen geschickt:
subject: 'to boldly go to europe' - ideen zu einem eu-verfassungskonvent
so wie's ausschaut, will angela merkel jetzt an der weiterentwicklung der EU arbeiten, mit oder ohne konvent oder ganz anders, wer weiss das schon, aber es koennte sich da doch im herbst eine neue diskussion ergeben. und ein umbau der EU-institutionen in richtung mehr demokratie waer ja in der tat kein fehler; aber euch muss ich das ja nicht erklaeren :)
abgesehen davon, dass ich es immer noch schick faende, wenn sich das
EU-parlament selbst zur verfassungsgebenen
versammlung erklaerte, koennte auch ein anders
einberufener konvent was erreichen; die frage ist halt wie der aufgebaut
ist, was sein arbeitsauftrag und seine befugnisse sind, wer einbezogen wird,
etc.
und das ergebnis wird wohl auch davon abhaengen, wie gut vorbereit
die politischen akteurInnen in diese phase gehen und wie die
oeffentlichkeit dem gegenueber eingestellt ist.
ich denke, es waere jetzt eine gute zeit fuer die europaeischen gruenen, eine grosse europaweite herbst-aktion aufzuziehen: "to boldly go to europe" (oder so), mit zwei zielen
- gegen die allgemeine mieselsuechtigkeit klare botschaften und klare positive visionen einer europaeischen zukunft zu setzen; und v.a.
- in einem partizipativen prozess so etwas wie das gemeinsame bild der buergerInnen fuer das europa der zukunft zu entwicklen -- als grundlage eines hoffentlich bald beginnenden verfassungsprozesses.
waer das was? zutrauen taet ich euch gruenen einen europaeischen buergerInnen-verfassungskonvent jedenfalls schon :)
nachtrag: 29 tage spaeter: keine antwort der beiden.
naja. schau ma, was daniel cohn-bendit in seinem neuen buch schreibt …
manchmal hab ich so ideen ... anlässlich des letzten europäischen rats im dezember, bei dem sarkozy vorzeitig davongelaufen ist & merkel am ende mit hängenden mundwinkeln tristes verlesen hat, ist mir z.b. folgendes durch den kopf gegangen. - zum glück findet ja bald wieder so ein meeting statt.
rahmen
die 27 staats- & regierungschefs treten am ende des rats gemeinsam auf die bühne. in einer glasschüssel befinden sich 27 zettel; jede/r zieht einen der zettel, & so entsteht die folgende gemeinsame rede, deren teile mit verteilten rollen in der jeweiligen muttersprache vorgetragen werden:
skizze einer rede an das europäische volk
liebe europäerinnen & europäer, liebe erdenbürgerinnen & -bürger anderswo!
am schluss unseres treffens möchten wir uns an Sie wenden, & diesmal nicht mit einem kurzen communiqué, sondern mit einigen grundsätzlichen überlegungen zur vergangenheit, gegenwart, unmittelbaren & ferneren zukunft dieses kontinents.
die geschichte europas seit 1945 ist eine erfolgsgeschichte. nach jahrhunderten der zwietracht & der feindschaft, die im holocaust ihren grausigen tiefpunkt gefunden hat, ist es gelungen, ein historisch einzigartiges friedensprojekt zu gestalten.
heute ist dieses europa ein wunderbarer platz zum leben, es zeichnet sich durch wohlstand, bildung, soziale sicherheit & gerechtigkeit aus, es glänzt mit natur wie mit kunst & kultur, es baut auf frieden, demokratie & freiheit auf.
auf dieses europa können wir stolz sein, & für den erhalt & die weitere verbesserung dieses kontinents lohnt es sich zu kämpfen. & das werden wir tun.
wir wollen nicht verhehlen, dass sich die EU & der euro derzeit in einer schwierigen ökonomischen situation befinden, hervorgerufen durch eigene fehler, aber auch durch das internationale finanz- & wirtschaftssystem. wir stellen dazu fest: wir lassen uns den euro nicht durch spekulation, rating-agenturen & ominöse märkte kaputt machen.
wir werden alles tun, um den euro zu retten & auszubauen. dazu gehört als erstes, die EZB zu einer richtigen zentralbank aufzuwerten, die auch als "lender of last resort" auftreten kann, wie dies alle anderen volkswirtschaften auch tun.
& auch den banken & anderen finanzinstitutionen sei gesagt: wir haben euch 2008 nicht gerettet, damit ihr jetzt mit steuergeld gegen europäische volkswirtschaften zockt. in zukunft wird auf diesem kontinent wieder das primat der politik über die wirtschaft gelten.
die derzeitige wirtschaftliche krise trifft manche gegenden europas besonders hart. wir rufen allen griechinnen & griechen & allen bewohnerInnen anderer krisengebeutelter länder zu: wir lassen euch nicht im stich!
so wie die usa das bankrotte kalifornien nicht hinauswerfen, so wenig ist es denkmöglich, europäische länder vor die EU-türe zu setzen. frieden, demokratie & freiheit sind nur zusammen mit solidarität möglich, & dazu bekennen wir uns aus tiefstem herzen.
die aktuellen wirtschaftlichen schwierigkeiten haben auch gezeigt, dass der institutionelle rahmen der EU eines ausbaus bedarf. wenn europa auf demokratie gründen soll, so müssen wir unsere prozesse & institutionen weiterentwickeln.
wir brauchen eine neue transnationale demokratie, in der Sie, die europäischen bürgerinnen & bürger, bestimmen, was geschieht, in der die legitimität der regierenden direkt vom willen der regierten ausgeht.
dafür brauchen wir ein europäisches parlament, dessen abgeordnete nicht nach ländern getrennt gewählt werden; eine kommission, die vom parlament legitimiert ist; einen rat, der nicht mehr regiert, sondern als länderkammer auftritt; & zuallererst eine europäische öffentlichkeit, in der die notwendigen deliberativen prozesse stattfinden können.
wenn wir europa weiterentwickeln müssen, brauchen wir ziele, auf die wir hinarbeiten können. eine gemeinsame vision ist der treibstoff für gemeinsames arbeiten.
wie also soll dieses europa in 10, 20, 50 jahren aussehen? wir sehen ein europa vor uns, das nach wie vor & stärker denn je auf unseren grundwerten aufbaut: "liberté, egalité, fraternité", "freiheit, gerechtigkeit, solidarität" - nichts haben diese bewährten werte an aktualität, ja an notwendigkeit verloren. die marseillaise wird angespielt
wir sehen ein europa vor uns, das dem frieden nach innen & außen verpflichtet ist; das demokratie als grundlage & rahmen hoch hält; das die freiheit der menschen & ihre grundrechte schützt & unbedingt & ausschließlich rechtsstaatlich handelt;
ein europa, das solidarisch für gerechtigkeit & soziale sicherheit eintritt; das eine gerechte verteilung des wohlstands gewährleistet; das bildung, kultur & ökologisches handeln für unverzichtbar hält; das offen für neue(s) & fremde(s) ist;
ein europa, das mit seinen nachbarn & dem ganzen erdball freundschaftlich verbunden ist & zusammenarbeitet; das als beispiel für ein gelungenes gemeinwesen dienen & anderen weltgegenden helfen kann; das sich auf internationaler ebene für eine menschenrechtsbasierte weiterentwicklung des völkerrechts einsetzt;
ein europa, in dem alle eine & eine gleichwertige stimme haben, & in dem gerade die jungen dabei unterstützt werden, mehr gehör zu finden als wir alte trotteln; zeigt in die runde
ein europa, das auf seinen historischen, kulturellen & philosophischen grundlagen aufbaut & diese weiterentwickelt, das an der aufklärung anknüpft & am unvollendeten projekt moderne weiterarbeitet;
ein europa, das seine kulturelle & sprachliche vielfalt pflegt & diese zugleich in einer gemeinsamen europäische identität aufhebt.
soweit eine kurze skizze unserer visionen für europa, aber natürlich kommt's drauf an, gemeinsam mit Ihnen ein bild zu entwickeln.
das setzt auch voraus, dass die diskursiven prozesse in europa transparenter & offener werden, sodass alle 500 millionen menschen gemeinsam ihre zukunft gestalten können.
zusammenfassend sei gesagt: als erstes werden wir schleunigst den euro sichern & die wirtschaft reparieren, sodass wieder menschen wichtiger sind als geld & politik als gemeinsamer demokratischer prozess wichtiger ist als einzelne wirtschaftliche institutionen;
& dann geht's an die weiterentwicklung der EU hin zu noch mehr freiheit, noch mehr demokratie & noch mehr wohlstand für alle bürgerinnen & bürger auf der basis von solidarität & sozialer sicherheit.
zum schluss dieser rede möchten wir uns auch verabschieden: wir als nicht für das regieren der EU legitimierten werden uns zurückziehen & die koordination europas in die hände des direkt gewählten europäischen parlaments legen.
dieses ersuchen wir, sich als verfassungsgebende versammlung zu verstehen & umgehend den prozess der erarbeitung einer europäischen verfassung zu beginnen, unter einbeziehung von denkerInnen, jugendorganisationen & aller europäer & europäerinnen.
zum schluss: wir finden europa ziemlich cool - machen wir es gemeinsam noch besser!
ausklang
zu den klängen der europa-hymne übergeben die 27 ihre 27 zettel an den präsidenten des europäischen parlaments & ziehen von dannen.
die kameras schwenken auf habermas, der links hinten im eck steht & wohlwollend lächelt.
momentan ist die euro-krise in aller munde, die sogenannte. - warum "sogenannte"? weil es durchaus währungen gibt, die weniger zum spielobjekt der ominösen "märkte" geworden sind als der euro, obwohl es den dahinter stehenden volksswirtschaften tendenziell schlechter geht. die gründe dafür scheinen sich allmählich abzuzeichnen:
- eine einheitliche währung von 17 ländern ohne einheitliche (oder zumindest: gemeinsame, abgestimmte) (wirtschafts-)politik ist eine gewagte konstruktion;
- die definition der euro-zone als nicht-solidaritäts-zone (verbot von transfers, das mittlerwile ohnehin unterlaufen wird), liest sich naturgemäß als "spekulier mit mir!" für die anynomen "märkte";
- andere zentralbanken sagen (explizit oder zumindest/meist) implizit: "zur not drucken wir $waehrung", die EZB darf das nicht; folge: s.o.
somit steckt weniger der euro in einer krise; vielmehr zeigen sich diverse konstruktionsmängel, die von den "märkten" (zur erinnerung: das sind die einrichtungen, die vor 2-3 jahren von den staaten unter den hübschen mottos "too big to fail" & "system-relevant" gerettet wurden) zu wetten gegen einzelne euro-staaten genutzt werden.
kleine zwischenbeobachtung: die USA werfen kalifornien nicht aus dem bund trotz dessen schulden; österreich hat die hypo alpe adria gekauft statt kärnten bankrott gehen zu lassen; bei griechenland wird ein rauswurf aus der euro-zone (der ja nicht vertraglich geregelt ist) doch erwogen. - tja, was sagt uns das?
& was sehen wir noch? demokratie wird zusehends optional auf diesem kontinent; wenn überhaupt politische aktivitäten zu sehen sind, dann sehen die meist so aus, dass eine deutsche physikerin & ein vertikal herausgeforderter nachfolger des ebensolchen korsischen generals in einem hinterzimmer verschwinden & hinterher anordnungen an ihre ebenso planlosen kollegInnen aus anderen ländern verteilen; für das gemeine volk fallen dabei wenn überhaupt nichtssagende soundbites ab.
was braucht es also?
- einerseits natürlich schnelle & radikale reformen im bereich der wirtschaftspolitik, wie sie etwa die europäischen grünen fordern;
- andererseits aber eine reform dieses konstrukts EU, eine reform, die die skizzierten widersprüchlichkeiten auflöst, die der politik wieder das primat über die ökonomie gibt & die v.a. ein demokratisch strukturiertes & legitimiertes gemeinsames europa schafft.
überlegungen dazu stellt z.b. jürgen habermas an, in diversen artikeln & jüngst in seinem neuen buch zur verfassung europas. darin versucht er, eine skizze für eine mögliche legitimation einer vertieften transnationalen, aber nicht bundesstaatlichen zusammenarbeit innerhalb europas zu liefern. eine europäische verfassung könnte demnach von 2 gruppen, den unionsbürgerInnen & den nationalstaaten, gemeinsam getragen werden, wobei letztere wiederum aus den staatsbürgerInnen bestehen / von diesen legitimiert sind & somit in europäischem kontext die menschen eine doppelfunktion haben. - interessant auch, dass habermas in diesem essay durchaus die existenz einer gemeinsamen europäischen geschichte & kultur (als voraussetzung für die legitimation einer machtabgabe an das transnationale gebilde in der erwartung eines gemeinsamen nutzens) bejaht.
ganz überzeugt bin ich nicht davon, warum ein bundesstaat vermieden werden soll; aber vielleicht ist es zumindest pragmatisch betrachtet momentan einfacher.
etwas kürzer & kämpferischer formuliert dominique rousseau, verfassungsrechtler an der pariser sorbonne, in einem kommentar in le monde (übersetzung eurotopics, hervorhebung von mir):
En 1788, pour répondre à la crise des finances du royaume, Louis XVI convoque les Etats généraux qui, en 1789, s'autoproclament Assemblée nationale et, par l'écriture de la Constitution, elle transforme les peuples qui vivaient sur le territoire de la France en peuple français. Au Parlement européen, aujourd'hui, d'avoir la même audace. Il est la seule institution issue du suffrage universel et cette légitimité lui donne la capacité de s'autoproclamer Assemblée constituante et de proposer au vote des peuples européens une Constitution qui s'ouvrirait par "Nous, peuple européen…"
1788 ließ der vor dem Staatsbankrott stehende Ludwig XVI. die Generalstände einberufen, die sich 1789 zur Verfassunggebenden Versammlung erklärten. Sie machten die Menschen, die auf französischem Boden lebten, zu Franzosen. Das Europa-Parlament sollte heute den gleichen Mut beweisen. Es ist die einzige Institution, die durch allgemeine Wahlen legitimiert wird. Daher kann es sich zum Verfassungskonvent erklären und dem europäischen Volk eine Verfassung zur Abstimmung vorlegen, die mit den Worten "Wir, das europäische Volk" beginnt.
& auch wenn das noch kein ausgefeiltes konzept ist - der gedanke hat etwas: das europäische parlament ist bei allen schwächen die einzige zumindest formell demokratisch legitimierte institution der EU; wer wenn nicht es soll die legitimation haben, den prozess einer ausarbeitung einer EU-verfassung anzustoßen & zu koordinieren? und: zeit wird's!
sinnvoll dabei, nein: notwendig!, wäre eine möglichst große partizipation & transparenz, wobei bei der mitarbeit die jungen menschen (etwa via jugendverbände) besonders eingebunden werden sollten. & vielleicht sind die liquid democracy-ansätze der piratInnen ein hilfreiches tool?
in diesem sinne: « allons, enfants de la patrie européenne, ... ! »
innsbruck ist nicht madrid oder new york, die maria-theresien-straße nicht die puerta del sol oder der zuccotti park. - oder vielleicht doch?
nach #realdemocraciaya, #acampadas, #occupywallstreet sind also die proteste via #occupyeverywhere und #15october als #occupyaustria auch in österreich und in innsbruck angekommen. - will uns das sammelsurium an hashtags vielleicht schon etwas sagen?
innsbruck, annasäule, 13:00: ein paar dutzend leute stehen herum. eine bunte mischung, alle fröhlich, die sonne scheint, kinder werden geschminkt, ... ist doch nett, oder?
oder.
dass das ganze reichlich unorganisiert wirkt, ein ziel der veranstaltung nicht zu erkennen ist und der "redner" ((nicht) zu hören am anfang des videos) weder reden noch seinen lautsprecher bedienen kann, sind die kleineren ärgerlichkeiten.
interessanter ist schon die "bunte mischung": neben atomkraftgegnerInnen, grünen, der piratenpartei (deren homepage heute im wesentlichen php-warnings ausspuckt) und den unvermeidlichen tierschützerInnen gibts auch noch die vertreterin einer obskuren und wohl verschwörungstheoretisch angehauchten bewegung, die flammend von einer esoterikerin schwärmt, oder den nationalrats-abgeordneten, der selbst für die fpö untragbar geworden ist, aber hier fröhlich pamphlete verteilt.
so sieht also die zusammensetzung dieser "bewegung" aus; die laut flugzettel (ohne impressum o.ä.) keine ist, aber dafür global, und alle sollen miteinander reden und so. (aus dem gedächtnis, im detail hab ich mir die wolkigen formulierungen nicht gemerkt.)
wir haben also: keine ideologie, keine analyse jenseits von "wir empören uns über dies und das", keine entwürfe abseits von "wir brauchen liebe und müssen viel kommunizieren", keine organisation außer "alle dürfen mitmachen".
dem bissigen standard-artikel nach zu schließen dürfte es in wien recht ähnlich ausgeschaut haben.
wie ein anderer anwesender treffend zusammengefasst hat: "postmoderne beliebigkeit".
nachtrag: in der tt findet sich ein interessantes interview mit max preglau. auszüge:
Bevor etwas aber effizient umgesetzt werden kann, muss sich herauskristallisieren was genau mit dem Protest erreicht werden soll. Momentan geht es in erster Linie darum, jedem die Möglichkeit zu geben sich einzubringen. [...] Ein Problem bei „Occupy Wall Street“ ist auch, dass niemand persönlich und mit klaren Forderungen angegriffen wird, sondern das Finanzsystem an sich. Daher kann eigentlich nur indirekt über Reaktionen der Politik etwas verändert werden. Doch dieser Weg ist umständlich und lang. Die Gefahr, dass die Bewegung am Ende wirkungslos verpufft ist also groß.
nachtrag: ernesto galli della loggia im corriere de la sera (zitiert nach & übersetzt von euro|topics):
Denn wer versucht, die Gesellschaft wirklich zu begreifen und dabei rudimentäre wirtschaftliche Kenntnisse besitzt und folglich eine Vorstellung davon hat, was Polis ist und was Macht bedeutet, und wie sie organisiert ist, empört sich nicht. Er macht Vorschläge, streikt, rebelliert, wählt die Opposition oder schafft eine neue. Aber er empört sich nicht. ... In der Politik ist die Empörung, wenn sie authentisch ist, eine sofortige und elementare Reaktion. Wenn sie zum Dauerzustand wird, dann zeugt sie nicht nur von einer vereinfachten, sondern von einer primitiven Weltanschauung.
der kritik am begriff "empörung" stimme ich zwar nicht zu, aber die hinweise zu verständnis und weltanschauung finde ich recht treffend.
nachtrag: wer hätte gedacht, dass ich einmal einmal die presse zitiere:
Dabei sind die Ziele der Österreich-Besetzer ähnlich vage formuliert wie jene ihrer New Yorker Vorbilder. Sie haben keinen Anführer, keinen Forderungskatalog und keine eng gefassten Wertvorstellungen. Man distanziere sich von Faschismus, Rassismus und jeglichem Fanatismus steht im Infoportal der Facebook-Seite. Ein Gegengift gegen die Eurokrise rund um Griechenland und die Parteienverdrossenheit in der Heimat ist das noch nicht.
& noch ein paar nachträge (ende jänner 2012):
- profil: "Unfreundliche Übernahme. Rechte und Verschwörungstheoretiker in der österreichischen Occupy-Bewegung"
- presse: "Die Empörten von Occupy Austria und ihr später Selbstfindungstrip. Warum Mitläufer am rechten Rand die Glaubwürdigkeit von Occupy Austria gefährden – und die Bewegung sich deshalb am Wochenende in Linz neu erfinden will."
- der standard: "Ermittlungen gegen Occupy-Aktivisten wegen Wiederbetätigung. Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Wiederbetätigung und Volksverhetzung bei Teilen der Occupy-Bewegung"
- der standard: "Occupy ringt um Position zu Rechten und Sektierern."
da fordert jetzt also das "demokratiebegehren" (was auch immer das sein mag) meinoe.at u.a. (zitiert aus der pressemappe):
Die eine Hälfte der Abgeordneten zum Nationalrat und zu den Landtagen soll künftig in einer Direktwahl im Wahlkreis gewählt werden.
das begeistert mich wenig. aus mindestens 2 gründen:
- ich will programme und inhalte wählen und keine "köpfe". programme werden leichter von personengruppen als von einzelpersonen erstellt. wer sie letztlich umsetzt ist für mich zweitrangig.
- wenn schon persönlichkeitwahl, dann nervt die beschränkung auf den wahlkreis. wenn ich eine/n tolle frau/mann wählen wollen würde, wäre mir herzlich egal, ob er/sie in innsbruck, kufstein, salzburg, gramatneusiedl (oder cáceres oder colchester oder ..., wenn wir auf eu-ebene denken) wohnt.
ein paar der anderen forderungen (abschaffung der gesetzgebungskompetenz der landtage sowie des bundesrates oder änderungen in der parteien- & antikorruptionsgesetzgebung) sind eh recht sinnvoll. - dazu kommt halt dann auch wieder gelaber, wie dass das parlament wieder zum gesetzgeber werden soll: dazu bitte einmal den unterschied zwischen parlamentarischer und präsidentieller regierungsform und die rolle der parlamente in ebendiesen nachlesen.
nicht nur robert misik & ich klagen über die mittelmäßigkeit des politischen personals in europa, auch das profil (2011/30, 58) schlägt in die selbe kerbe:
Eine schwache Truppe ist da am Werk, eine Truppe, die nicht den politischen Willen aufbringt, das Notwendige zu tun: den politischen Überbau zu schaffen, den eine gemeinsame Währung braucht. Für den großen Integrationsschub bringen diese Leute die Kraft nicht auf.
nachtrag: ähnlich und sehr lesenswert: robert mensasse "Über die Feigheit der europäischen Politiker".
bevor ich noch dazu komm, etwas über europa und sein jämmerliches personal und die notwendigkeit von ideen und letztlich einem europäischen bundesstaat zu schreiben, sagt robert misik schon ähnliches, und das gewohnt eloquent:
Wir brauchen mehr Europa, viel viel mehr Europa! Aber die EU wird von einer visionslosen Gurkentruppe regiert (ab ca. 02:30)
ob die politikwissenschaft es "digital cleavage" nennt, was wir momentan beobachten? mag sein, ich bin da wohl schon zu weit weg; unpassend wäre es jedenfalls nicht.
dass "das netz" an den überkommenen politischen und damit macht-strukturen rüttelt, ist nicht zu übersehen. nicht nur die herrschenden politischen eliten, auch unhinterfragte konzepte wie der gute (?) alte nationalstaat werden bedroht.
ein paar interessante fundstücke dazu:
- "Net Tribes": der elektrische reporter hat in seiner rubrik "Uebermorgen.TV" (ab 07:50) eine interessante utopie zum wechsel von digitalen communities ins "real life", incl. schmankerl wie "warum sollen wir dem nationalstaat steuern zahlen?" -- die idee, dass gemeinschaften stärkere bindungen haben als der gemeinsame reisepass, ist an sich nicht neu, aber im digitalen zeitalter bekommt er eine andere dimension.
- kris köhntopp beklagt, im "falschen jahrtausend" zu leben und schildert recht anschaulich den tiefen spalt zwischen sich selbst ("Ich lebe online. ... Das ist die Welt, in der ich existiere ... Ich bin kein Einzelfall. Alle Leute die ich kenne leben auch so, mehr oder weniger. Und deren Freunde auch.") und den - äh - vertreterInnen des letzten jahrtausends.
- manfred faßler spricht von "hegemoniekonflikten" zwischen den klassischen (staatlichen) politischen institutionen (die er als "auslaufmodell" bezeichnet) und den neuen vernetzten globalen organisationsstrukturen.
gewinnt der nationalstaat dieses rückzugsgefecht?
nachtrag: "cleavage" kommt im zusammenhang mit digitalen medien auch 2011 in politologischen antrittsvorlesungen durchaus noch vor (hervorhebung von mir):
doch die politische Dimension der Trojaner-Debatte zeichnet sich bereits jetzt ab. Nicht allein der tatsächliche Einsatz solcher Überwachungstechnologien wird sich auf das Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürger auswirken. Die unsichere, uninformierte Diskussion durch Entscheidungsträger zeugt von einer Ratlosigkeit der Politik, die schlechte Entscheidungen zur Folge hat, die in ethisch mehr als fragwürdiger Behördentätigkeit münden.
Die konkreteren Folgen davon kündigen sich mit Blick auf die Aufmerksamkeitserfolge der Piratenpartei an – die Fragen der öffentlichen und privaten Mediennutzung gehen immer häufiger über die Tagesaktualität hinaus. Wenn sie tatsächlich zu einem neuen cleavage werden, dann könnten die Folgen für die politische Landschaft erheblich sein.
Für die Parteienlandschaft sind sie es jetzt schon.
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